Bericht über das Multihull-Forum 1999

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Vom 19. bis 21. März war das Jugendgästehaus der ehemaligen Bundeshauptstadt Zentrum der Mehrrumpfboote-Begeisterung. Mehr als 130 Interessierte, unter anderem auch aus Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien und der Schweiz, waren Gäste von Multihull Deutschland e. V., der im Jahre 1974 gegründeten Vereinigung deutscher (und anderer) Mehrumpfboote-Segler. Die meisten Referenten reisten bereits am Freitag Nachmittag an, um sich vom Reisestress zu erholen und einen gepflegten small-talk zu führen. Als der neue Vorsitzende Thomas Ostwald aus Hannover um 10 Uhr offiziell das Forum eröffnete, war der größte Saal des Kongresszentrums bis auf den letzten Platz gefüllt. Zur Unterstützung der Redner waren Flip-chart, Overhead-Projektor, Lautsprecher, Leinwand und Diaprojektor sowie ein Monitor mit Videospieler aufgebaut. Erster Sprecher war Ralf Weise aus Bremen, Bootsbaumeister und Spezialist für die Vermittlung sowie die Begutachtung und Wertermittlung von Mehrrümpfern. Ralf sprach über die unterschiedlichen Standpunkte und Erwartungen von Käufer, Verkäufer und Vermittler, die ihre jeweilige Absicht mit unterschiedlichen Strategien erreichen möchten. Außerdem stellte Ralf ein Wertermittlungssystem für Mehrrümpfer vor.

Eine Stunde später war der niederländische Bewerber für das Jahr 2000-Rennen (The Race), Henk de Velde, dran. Er sprach über seine 15 Seemannsjahre in der Handelsmarine, wo er es von der Deckshand zum Kapitän brachte und über sein mehrrümpfiges Leben, das mit einem 25 Jahre alten Wharram-Kat begann, über Alisun, Zeemann/ SIMAC und seine Anstrengungen, um einen 40 m Crowther-Katamaran für The Race zu realisieren. Henk, Rekordhalter für die Einhand-Umrundung in 109.5 Tagen, brachte seine Motivation, die großen Kaps zu runden, auf den Punkt: Weil sie da sind!. Ein großer, sympathischer Mehrrumpfsegler.

Zur Enttäuschung passionierter Teetrinker wurde zum Mittagessen nur Tee gereicht. Aarrgh!

Vermisst wurde anschließend auch Derek Kelsall, der angekündigt war, über Bootsbaumethoden und seine persönliche Auffassung von Multihulldesign und Selbstbau zu sprechen. An seine Stelle trat Burkhard Bader aus Rosslau an der Elbe und berichtete über sein Unternehmen Bader Katamarane, das durch den Bau von Kelsall Designs bekannt wurde, aber auch an andere Bootsbauer liefert und Industrieteile auf Polyesterharz-Basis fertigt. Burkhard vertritt die Meinung, dass der Anteil an Selbstbauten rückläufig sei, wogegen Kunden zunehmend die Angebote spezialisierter und preiswerter Bootsbauer in Südafrika und den Baltischen Republiken bevorzugen würden. Er betonte auch, dass er seine Bauten nicht an Kunden aus dem Euromarkt verkauft, weil die neue CE-Richtlinie (seit Mitte Juli 1998 gültig) wegen der verlangten Zertifizierung und Dokumentation den Verkaufspreis um mindestens 15 % erhöhen würde.

In der folgenden Diskussion rückte Ulrich Heinemann diese Zahlen auf 3.500 DEM für eine Durchschnittsyacht bei gut organisierter Werft zurecht. Ulrich Heinemann ist Vorsitzender des Internationalen Marine Zertifizierungsinstitutes in Brüssel (IMCI), das Lizenzen an die nationalen Zertifizierungsgesellschaften für Yachten vergibt. Er hat auch der Welt erste SWATH für ãVergnügungszweckeÒ (Small Water Area Twin Hull) entworfen, eine Luxusyacht von 35m x 12,5 m mit einer Verdrängung von 150 Tonnen.

Ab 15 Uhr berichtete Herbert Walder über den Antarktistrip auf Sposmoker II, dem 18.5m Katamaran, der von 75 Amateuren der Seglergilde Sposmoker e. V. gebaut worden war. Nach zwei Mastbrüchen unter ähnlichen Bedingungen während der Nordseewoche und vor Cherbourg erhielt Sposmoker II den roten Proctor-Mast von Henk de Veldes SIMAC. Herbert betonte, dass Sposmoker II an mangelnder Qualität und zahllosen Defekten krankte: Ruderhydraulik, mangelhafte Heizung, Reffen des baumlosen Groß sehr hart, Bolzen des Vorderbeams abgeschert, Stoffverdecke der Hauptluken, Segellatten als Handlauf des Niederganges, usw.. Er hielt das Boot für seeuntüchtig, die Rückkehr für reine Glücksache und den Skipper für einen Wagehals.

Für den verhinderten Jens Quorning (Dragonfly-Werft) sprang als nächster Redner Helge von der Linden ans Mikrophon. Helge ist Händler und Fachmann für Baumaterial, Werkzeuge und Technologien. Er zeigte auf, wie mit neuen Werkstoffen Bauzeit, Gewicht und Arbeitsaufwand verringert werden können, z. B. mit Du-Flex-Platten, einem Schaumsandwichmaterial, das in Form gebogen werden kann und aus dem mit geeigneter CAD-Software und CNC-Fräse Streifen oder andere Teile gefräst werden. Binnen Stunden können diese Frästeile zusammengefügt, verklebt und geglast werden. Außerdem stellte Helge die Vorteile von Duracore-Platten bzw. -Streifen (Planken) dar, Balsastirnholz zwischen Hartholzfurnieren.

Als letzter Redner des Samstages war der sich selbst als Segelschamane bezeichnende James Wharram dran, unterstützt von seiner zweiten Frau Hanneke Boon. In Würdigung seiner ersten Frau und Navigatorin Ruth, grüßte er alle Gattinen und segelnden Damen. Es waren Frauen, die das heutige Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg aufbauten, und alle Männer klatschten. James sprach über das Maritime auf diesem Planeten, alte peruanische Kulturen auf See, seine Philosophie Design, das auf den Ozeanen entwickelt wurde und auf der Evolution fußt (design made on oceans and based on evolution) und Sperrholz-Epoxy-Glasfaser-Werken. Er betonte, dass sein 63 Füßer Spirit of Gaia gemäß der Bauhaus-Regel gebaut sei: Form follows function (Anm. d. Red.: Diese Regel hat bereits 50 Jahre vor dem Bauhaus der Engländer und erste richtige Industriedesigner Christopher Dresser formuliert). James meint damit, dass z. B. der Innenausbau wie Möbel, Bücherborde, usw. zur Versteifung der Rümpfe herangezogen werden. 1987 habe er dreimal mehr Pläne verkauft als alle anderen Designer zusammen genommen, mit seinen größten Booten, die Pinnensteuerung haben und bis 40 Grad an den Wind gehen können. 1995 wurde er eingeladen, am Großen Polynesischen Boots-Festival teilzunehmen – so segelte er von England über den Atlantik, Panamakanal und Galapagos in 37 Tagen nach Aotea (Hawaii). In Auckland (NZL) war er Hauptsprecher beim Festival historischer Boote und Schiffe, das Archäölogen des Marinemuseums organisiert hatten. Es hat Spaß gemacht, James zuzuhören und die Schnappschüsse von der meist weiblichen Crew zu sehen wie sie zusammen unter der Sonne der Südsee Multihulls segelten. Big smile!

Nach dem Samstag-Abendessen war die jährliche Hauptversammlung der Mitglieder von Multihull Deutschland.

Am Sonntag ging das Forum weiter mit dem Ehrenvorsitzenden, Flugzeugkonstrukteur und Yachtdesigner Kurt Diekmann aus München. Um Katamarane mit Trimaranen besser vergleichen zu können, entwickelte Kurt eine Tabelle mit verschiedenen Kriterien. (Anm. d. Red.: Der Vortrag ist in dieser Ausgabe von Mehrrumpfboote abgedruckt). Ein Exkurs befasste sich mit dem Am-Wind-Widerstand verschiedener Rumpfformen.

High-tech, wissenschaftlich untermauertes Design stellte Designer Eric Lerouge aus der Bretagne vor. Am Beispiel seiner Designs Maia 80 und 10 m vertrat er ebenfalls den Form folgt Funktion-Gedanken Senkrechte Buge für schlanke Linien im Bugbereich und lange Wasserlinie, gerundete Ecken für geringere Oberfläche, Gewicht und Steife, Abschluß der Segel mit dem Deck wegen des Endplatteneffektes, bündig abschließendes Deck für geringeren Windwiderstand am Wind, drehbare Flügelmasten und Verringerung der Luft-Wasser-Interferenz als einige Stichworte. Festkiele unter Wespentaillen-Rümpfen können genauso viel leisten wie solche mit Schwertern, wenn sie auf wissenschaftliche Weise im Tank getestet wurden, wie mit den 40 bzw. 45 Fuß-Kreuzern Freydis bewiesen. Großen Zuspruch fand der große und stille Bretone mit der Feststellung, dass es einen wachsenden Bedarf an leistungsfähigen Openbridge-Multis gäbe, was eine Weiterentwicklung hin zu geringerem Gewicht, besseren Rumpflinien und verbessertem Segelantrieb erfordere. Ein Beispiel für seine Vorstellung von Perfektion in dieser Richtung sei das Norwegische Gokstad-Wikingerschiff. (Anm. d. Red.: Für alle, die jetzt heiß auf Erics Vortrag sind ich arbeite bereits an der Übersetzung).

Nach so viel Theorie und zahllosen Debatten wurde es Zeit, Segeln zu gehen! Mit einer entspannenden und farbenprächtigen Diashow brachte Wolfgang Koch aus Freiburg Impressionen vom Segeln um die Kapverden unter das Publikum. Kompetente Sachinformation über das von ihm mit erschlossene, noch ursprüngliche Segelrevier.

Das Erste Europäische Multihullforum 1999 endete zwei Stunden später als geplant. Kein noch Anwesender hat es bereut. Thomas Ostwald meinte, er habe nicht so viele Besucher erwartet und er sei eigentlich froh darüber gewesen, dass es nicht noch mehr waren! Um alle Pros und Kontras zu würdigen sei eine Diskussion notwendig, auch über die Frage, wann und wo die nächste Veranstaltung dieser Art stattfinden soll. Dass es sie geben soll war für niemanden eine Frage.

Meiner Meinung nach hat das Angebot eines modernen Jugendgästehauses in zentraler Lage für eine solche Veranstaltung voll ausgereicht. Die Referenten wollten kein Honorar, sie baten nur darum, dass man ihnen die Eintrittsgebühr erläßt. Da Multihull Symposien seit Jahren nur in Übersee stattfinden, ist ein bemerkenswerter Bedarf auch in Europa festzustellen, und ich bin mir sicher, dass die Ergebnisse Beachtung finden werden.

Weitere Informationen bei Thomas Ostwald, Telefon +49-511-475 1081 oder Fax +49-5101-91 64 61.
Autor: Christian Plaas