Der Meltemi

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Cetin Sipahi berichtet über den gefürchteten vorherrschenden Wind in der Ägäis.

Wer in den Sommermonaten im Ionischen Meer und in der Ägäis mit einem Segelschiff kreuzt, muß mit starken nördlichen Winden rechnen. Das gilt von Juni bis September. In den letzten fünf Jahren dehnt sich dieser Bösewicht bis zum Oktober, November hinein aus.

Dieser Wind in der Ägäis war bereits in der Antike bekannt, damals erhielt er den Namen „Esterien“, er kommt von dem griechischen Wort „Etos“ – jährlich. Heute hat sich der allgemeine türkische Name „Meltemi“ durchgesetzt.

Wie entsteht dieser Wind? … Einige schlaue nautische Bücher erklären dieses Phenommen so: der Meltemi ist eine Folge unterschiedlicher Luftdruckgebiete zwischen dem Tiefdruckgebiet über Pakistan oder Indien (Monsuntief) und dem Hochdruckgebiet über den Azoren. Das Gefälle zwischen diesen beiden stabilen Druckgebieten erzeugt im Sommer konstante nördliche Winde in der Ägäis!!!

Man muß wirklich die halbe Welst studieren, um den Meltemi zu verstehen.

Türkische Metereologen erklären diese Winde so:

Wenn sich ein Hochdruck über dem Balkan bildet und zur gleichen Zeit ein Hitzetief über dem Anatolischen Hochland entwickelt, dann wird Lady Meltemi geweckt. Die Türken nennen sie sogar nichtvertrauendes böses Weib . Übrigens weiß ich auch nicht, warum alle starken bösen Winde Frauennamen tragen … ob sie wohl deren Charakter beschreiben?

Über Meltemi habe ich vieles gehört und einiges mit ihr erlebt. Hier das wichtigste:

Alle Winde dieser Erde gehen in der Nacht schlafen, allein Meltemi nicht. Das ist ihr wichtigstes Merkmal. In der Nacht frischt der Wind auf und in der Morgendämmerung heult er noch stärker, als ob sie die Segler von ihrem Tiefschlaf wecken will. Das tut sie gern in der Mitte des Sommers, nicht aber am Anfang und am Ende des Sommers. Ein weiteres Merkmal ist, daß sie in der Regel drei Tage lang bläst, doch manchmal hängt sie noch drei Tage daran (wie der Mistral) und macht somit das Seglerleben schwer.

Ihre Wiederkehr dauert zwei Wochen und eine Nacht. Dann fängt alles wieder von vorne an. Sie bläst gewöhnlich mit 6-7 Windstärken, seltener auch mit 8-9 immer von Norden oder Nord-West mit nicht so steilem Seegang. Versucht man gegen sie anzukreuzen, wird man hundenass…

Sehr schwer gewinnt man ohne Motor gegen sie Höhe. Versuchen Sie nicht eine Leeküste zu finden, gerade dort bläst er noch stärker. Weibliche Mitseglerinnen und Skipperinnen müssen ihr Make-Up und Frisur recht gut schützen.

Es gibt keine Vorzeichen für die Meltemi. Es sei denn, sie treffen einen Fischer, der weissagt. Er erkennt starke Meltemi im voraus an den Zigarrenförmigen Wolken über den Inseln. Ich habe es schon einmal erlebt…

Immer verwechselt man Meltemi mit dem täglichen Seewind. Seewind (Thermischer Wind) beginnt gegen Mittag und flaut nachmittags ab. Meltemi beginnt in der Nacht oder morgens früh und nimmt nachmittags noch zu. Um Mitternacht gewinnt sie nochmals an Stärke.

In den letzten Jahren nahm nicht nur die Häufigkeit des Meltemi zu, sondern auch die Stärke. Für mich ist es der schönste Wind der Erde. Mit ihm möchte ich immer segeln. Tagsüber ist er immer konstant, mit kurzem, aber nicht zu steilem Wellengang… abkühlend und erfrischend… und eine Herausforderung für den Segler. Wenn sie heult, höre ich ihre Stimme: „Komm und spiel mit mir, ich bin ein einsamer Wind, ich brauche die Seeleute. Bitte verkriech dich nicht in eine geschützte Bucht.“

Cetin Sipahi